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Wut und Aggression – ein biologisch gesehenes „Überlebensprinzip“ oder ein soziales „dysfunktionales Verhalten“ kann in Beziehungen oftmals eine einzige Katastrophe sein

Wut als bestimmte Ausdrucksform von Aggression: was macht sie mit uns und unseren zwischenmenschlichen Beziehungen?

Zahlreiche WissenschaftlerInnen haben sich in den letzten Jahrzehnten mit diesen allzu „menschlichen“ Phänomenen beschäftigt und dabei vor allem mit der Herkunft von heftigen Ausprägungen. Hier gibt es durchaus unterschiedliche Erklärungsansätze, aber sie treffen sich großteils innerhalb eines gemeinsamen Verständnisses, dass der Grundstein dazu in diversen Phasen der Kindheit gelegt wird.

Aber auch die sogenannte „Persönlichkeit“ – also auch die „psychische Grundausstattung“ – mit der wir geboren wurden, spielt hier eine wesentliche Rolle

Sie bestimmt, wie wir mit den ererbten Anlagen, die eigentlich schon vor der Geburt einsetzt, später in der Interaktion mit der Umwelt umgehen. Damit hat sie einen wichtigen Einfluss auf unseren späteren Umgang mit Gefühlen wie Angst und Aggression. In einem weiteren Punkt sind sich ebenfalls viele ForscherInnen einig, nämlich, dass Wut etwas mit Angst und den Gefühlen, dass unsere Bedürfnisse nicht befriedigt werden, zu tun hat.

Wenn Babys schreien, dann deshalb, weil das ihre einzige Möglichkeit ist, anzuzeigen, dass etwas nicht stimmt, z.B. dass sie Hunger, Schmerzen, Angst haben oder in den Arm genommen werden wollen – Geborgenheit spüren wollen. Wer könnte ihnen dieses versagen! Daher sind wir alle – Männer wie Frauen – darauf ausgerichtet, im Schreien eines hilflosen Babys oder Kleinkindes auch immer das Alarmierende herauszuhören.

Die Evolution hat uns im Laufe der Entwicklungsgeschichte mit sehr vielen wichtigen Sinnesempfindungen ausgestattet, die das (menschliche) Überleben sicherstellen sollten

Ähnliche Muster finden wir in anderen Sinneseindrücken und Phänomenen, die erklären können, warum wir positive oder negative, also stressende Gefühle erleben – im Hören, Sehen, Riechen oder Schmecken. So beruhigt uns das Hören von leichtem Wasserplätschern, und auch Grünpflanzen haben eine ähnliche stressmildernde Wirkung. Beides erinnert uns an das Thema Wasser. Da, wo Wasser ist, ist auch Leben! Das ist uns heute nicht mehr so direkt bewusst. Aber ich fürchte auch in unseren Breiten wird uns dies bald noch stärker in Erinnerung gerufen werden, angesichts des rasch fortschreitenden Klimawandels.

In unserem Nervensystem sind also bestimmte Grundmuster angelegt, die uns in einem Zustand des geistig- körperlichen „Ausgewogenseins“ erhalten. In den Humanwissenschaften wird dieses Phänomen meist „Homöostase“ genannt. Es handelt sich um das Gefühl in einer Art innerer Balance zu sein, die uns, wenn auch nicht ständig „Dauerglück“ empfinden lässt – wie z.B. bei frischer Verliebtheit – so doch inneres Gleichgewicht vermittelt.

Wird diese Homöostase aus dem Gleichgewicht gebracht, so fühlen wir uns unwohl – es steigen Gefühle von Angst, Trauer, Wut, Verlassenheit u.a. auf

An diesen Gefühlen ist prinzipiell nichts Negatives. Sie sind ein Teil unseres Menschseins. Die Versprechungen vom glücklichen „Dauerhype“ sind eine eher ungesunde Erfindung einer kapitalistisch orientierten, marktdurchdrungenen Konsumwelt. Aus einer längst überholten Theorie des „homo  consumens“ wird versucht, uns Menschen zu Dauerkonsumenten zu erziehen. Dabei soll uns vorgegaukelt werden, dass jedes negative Gefühl sofort durch Erwerben irgendeines (meist unnötigen) Produkts sofort verschwinden würde!

Soweit, so komplex – denn alle diese beschriebenen Zustände sind nicht bei allen Menschen gleich. Unter anderem werden sie durch unsere Entwicklung und Sozialisation (mit)geprägt.

Wie sehr wir ein Produkt unserer Umwelt sind , und/oder möglicherweise auch zur Gefahr für diese werden, hängt stark davon ab, wie gut wir gelernt haben mit unseren Gefühlen umzugehen

Das vielbeschworene Phänomen der sogenannten „Frustrationstoleranz“ ist ein wichtiger Indikator für unsere seelische Gesundheit. Auch höchst empfindsame Menschen können lernen, mit den eigenen Gefühlen soweit umzugehen, dass sie durch heftige Gefühlsausbrüche weder sich selbst noch anderen – durch verschiedene Formen von Aggression – schaden.

Was in unserer Gesellschaft als „normal“ in diesem Zusammenhang gesehen wird, dient als Richtschnur für das, was als psychische Gesundheit oder als Störung (heute auch sehr rasch als „Krankheit“ definiert) gilt. Eine neuere Studie des Psychologen Serge Sulz und der Psychologin Susanne Müller beschäftigt sich mit den Zusammenhängen zwischen den Gefühlen von Angst und Wut als wesentliche Komponenten der Persönlichkeit. Sie konnten in ihrer Studie zeigen, wie und in welcher Form sich dieser Zusammenhang bei Menschen mit auffallenden (teilweise) klinischen Persönlichkeits-Profilen darstellt.

Ist Wut als Abwehrstrategie von Angst ein erlerntes Verhalten und/oder Teil der Persönlichkeitsstruktur?

In der oben genannten Studie von Sulz/Müller werden nicht nur die Zusammenhänge von bestimmten dysfunktionalen Verhaltensweisen (u.a. überschießende Ausprägungen von Angst, Wut, Aggression) mit frühen Erfahrungen aufgezeigt. Es wird auch herausgearbeitet, welche Formen von Wut sich in Beziehungen zeigen und ebenfalls, woraus diese resultieren.

Vieles scheint darauf hinzuweisen, dass es einen starken Zusammenhang von Wut und Angst gibt. Eigentlich logisch für jeden und jede, der/die mit stark narzisstischen oder psychopathischen, wie auch soziopathischen Menschen zu tun hat. Diese Menschen kennen Wutausbrüche bei den von dieser Störung betroffenen recht gut. Die oft (scheinbar unbeherrschbare) Wut kann bei kleinsten Anlässen auftreten; vor allem, wenn irgendetwas den vorgefassten Vorstellungen des Betroffenen nicht entspricht. In vieler Hinsicht erinnern diese Menschen an kleine Kinder in ihren sogenannten „Trotzphasen“.

Bei Kleinkindern sind diese Phasen gewissermaßen ein natürliches Stadium der Herausbildung eines stabilen „Ich“

Das bedeutet, dass hier wichtige Grundlagen für den Aufbau einer gesunden und stabilen Identität gelegt werden. Das Kind muss sich in dieser Phase der eigenen Identität bewusstwerden und die Durchsetzung eigener Bedürfnisse ausloten. Es ist nicht mehr bereit, sich irgendwelchen Wünschen und Bedürfnissen, die von außen an es herangetragen werden anzupassen. Zweifelsohne eine Zeit, in der Eltern regelmäßig in verschieden schwere Stadien der Verzweiflung getrieben werden…

Wie ist das aber nun mit sogenannten „Erwachsenen“, die offensichtlich ihrer eigenen Trotzphase nicht entwachsen sind? Sie können von schwierig bis gefährlich im Umgang werden. Vor allem die in den letzten Jahren so bezeichnete „toxische Männlichkeit“ beinhaltet eine Persönlichkeitsstruktur, die gelernt hat, auf Frustration nur mit Wut und Aggression zu reagieren.

Die sogenannte „narzisstische Kränkung“ bezeichnet einen – oft sehr gefährlich ausartenden – Zustand, der unter der Oberfläche mit starker Angst verbunden ist

Darauf wird dann in erster Linie mit heftiger Wut und Aggression gegen die scheinbar kränkende Person reagiert.

Tief im Innern ist eine dermaßen aggressive, um sich schlagender gekränkte Person wie ein kleines „hilfloses“ Kind, das Angst um den Erhalt der eigenen Existenz hat. Kleine Frustrationen können hier nicht, wie bei psychisch gesunden und unauffälligen Menschen anders verarbeitet werden, als mit Wut und Aggressionen bis hin zu tätlichen Angriffen, wie Gewalt. All das dient als Mittel, die eigene Kränkung irgendwie auszugleichen, um selbst wieder in eine Form der Homöostase, also eines seelisch-emotionalen Gleichgewichts zu kommen. Es gehört zu den typischen Mustern der “toxischen“ Persönlichkeiten.

Die Angst vor dem Verlassenwerden führt zu einer Form von destruktiver Wut und Aggression!

Diese Angst hat unterschiedlichste Facetten. Dabei spielen diverse Faktoren mit:

  • Angst, die Macht über den anderen zu verlieren
  • Angst davor, die eigenen Bedürfnisse nicht mehr erfüllt zu bekommen
  • Angst, die eigene Identität damit schwer zu gefährdet
    uvam.

Da in unserer Gesellschaft nach wie vor Wut und Aggression als vielfach „normale männliche“ Reaktionsweise betrachtet wird, werden solche Phänomene auch in der Sozialisation von Jungen weniger verpönt oder geahndet als bei Mädchen.

Adäquate Strategien zur Bewältigung von Frustrationen ohne destruktive Gewalt werden auch bei Kindern und Jugendlichen nicht immer wirkungsvoll gelehrt

In Österreich gibt es seit einigen Jahren Gesetze, die gewaltbereite Männer (in wenigen Fällen auch Frauen), die nachweisbare Gewalt an ihren PartnerInnen (oft auch Kindern) ausgeübt haben, mit Betretungsverbot zu ahnden. Außerdem ist vorgesehen, dass diese Personen ein mehrstündiges Anti-Gewalttraining zu absolvieren haben.

Eine grundsätzlich gute Idee. Allerdings wirklich wirkungsvoll ist dieses „Kurzprogramm“ nur dann, wenn es den Anstoß dazu gibt, die eigene Wut und Gewaltbereitschaft tiefgründig zu hinterfragen und zu bearbeiten. Hat man(n) ein Leben lang nichts anderes gelernt als auf Frustrationen mit Wut und körperlicher Gewalt zu reagieren, so werden ein paar Stunden Anti-Gewalt-Training wohl kaum eine tiefgründige Änderung bewirken. Lebenslang praktizierte Muster können leider nur schwer durch ein kurzes Training „wegtrainiert“ werden.

Weitere Blogbeiträge von Psychologin Eva Nikolov-Bruckner sind u.a.

Wachstum oder Bestätigung sind kein Widerspruch

Gutachten Inhalte: Erziehungsfähigkeit des jeweiligen Elternteils

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