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Wir sind von unserer jeweiligen Gesellschaft seit unserer Geburt auf ein „soziales Geschlecht“ gepolt. Auch wenn sich zurzeit hier gesellschaftlich viele Neuerungen in der Queer-community anbahnen und sich inzwischen ebenso in der Gesetzgebung Einiges verändert hat – das Thema Schuld und Scham in Beziehungen hält an.

Wir laufen alle mit sehr stark wirkenden geschlechtsspezifischen „Prägungen“ herum, die uns zu vielen unbewussten Handlungen treiben. Wir haben tief in unserem Bewusstsein viele sogenannte „Glaubenssätze“, die nach wie vor unser Verhalten im Alltag steuern. Selbst wenn wir mit unserem Kopf zu Vielem inzwischen NEIN sagen würden. Sigmund Freud hatte mit seiner Theorie der Persönlichkeitsschichten wohl vielfach recht, wenn er behauptete, dass die uns innewohnenden Persönlichkeitsanteile unser Leben auf unbewusster Ebene stark steuern.

Natürlich braucht jede Gesellschaft ihre Normen und Regeln. Das hatte uns über die Jahrtausende hinweg das Überleben in Gruppen ermöglicht. Wer sich nicht an die gesellschaftlichen Regeln hielt, wurde sanktioniert.  Das ging von kleineren Strafen wie Ermahnungen, Beschimpfungen über körperlich Strafen bis zum Ausschluss aus der Gemeinschaft. Dies kam dann in vielen Fällen ohnehin einem Todesurteil gleich!

Wissenschaftliche Ansätze zum Thema Scham und Schuld sehen diese Phänomene stark im Zusammenhang mit einem Konzept der Selbstkonstruktion und des sozialen Rollenkonzepts (u.a. auch im Zusammenhang mit einer Geschlechterrolle). In diesem Kontext wird das Ausmaß von individuellen Gefühlen von Scham und Schuld stark mit dem Erleben von Einschränkungen in prägenden Phasen in Zusammenhang mit einer zu entwickelnden Geschlechtsidentität gestellt.

Je stärker jemand in seiner/ihrer Geschlechterrolle auf bestimmte Denk-, Handlungs- und Gefühlsmuster beschränkt wird, desto stärker bilden diese später einen wesentlichen Teil der Persönlichkeit

Unsere Persönlichkeit ist immer noch zu einem erheblichen Teil durch geschlechtsspezifische, meist unbewusste Rollenvorstellungen – von innen und außen – geprägt.

So begegnet uns Schuld und Scham auch immer wieder in Form einer Angst vor Strafe und Sanktionen.

Eine bestimmte Form von gesellschaftlicher Strafe war seinerzeit auch des Öffentlichmachen von „Verfehlungen“, etwas, das heute gerne in den Medien als „public shaming“ bezeichnet wird.

Was wir in früheren Jahrhunderten in Form eines „Anprangerns“ – eine frühe „nicht-digitale“ Form des public-shaming – kannten – wird jetzt im Netz mit weitaus größerer Reichweite praktiziert

Der mittelalterliche Pranger galt zwar als eine vergleichsweise „leichte Strafe, die mit öffentlicher Diffamierung einherging. Die wirklich schweren Strafen reichten von vielfältigen Formen der Folter bis zur Todesstrafe, die z.B. in Deutschland und Österreich im „dritten Reich“ wieder eingeführt wurde.

Bei der Strafe am Pranger wurden die Opfer (Delinquentinnen) an einem sehr belebten öffentlichen Platz angebunden (meist mit metallener Kopf-Halsschlinge). Dort waren sie der Verspottung, Beschimpfung und selbst körperlichen Übergriffen durch die Bevölkerung ausgesetzt (Bespucken war wohl noch die freundlichste Art, den eigenen Abscheu zu zeigen). Soweit- so furchtbar, unmenschlich und grausam, aus unserer heutigen Sicht! Am Prinzip von gesellschaftlicher Rache in unterschiedlichen Formen bei scheinbar kleinen „Vergehen“ aus Sicht der gerade geltenden gesellschaftlichen Regeln/Normen/Gesetzen hat sich wenig geändert.

Es gibt heute nicht mehr den sehr groben Pranger am Hauptplatz der Städte und Dörfer! Aber es gibt nach wie vor den psychisch-gesellschaftlichen Pranger in unserer Gesellschaft!

Im Sinne (scheinbar) überkommener gesellschaftlicher Normen herrscht auch das ungeschriebene Gesetz, dass eine Frau für das Funktionieren einer Zweierbeziehung die Verantwortung tragen müsste. Und das sitzt noch sehr tief in den Köpfen – ob männlich, weiblich – und auch queer (wobei es hier schon etwas komplexer wird).

Schuld und Scham in Beziehungen und warum überhaupt schämen, wenn man möglicherweise „Opfer“ ist?

Vor einigen Jahrzehnten, als im Rahmen der 70er Jahre und der damit verbundenen gesellschaftlichen Neuerungen sich auch Familiengesetze erstmals zugunsten der (Ehe)Frauen änderten, wurde zugleich auch mit vielen bisherigen Tabus gebrochen. Das Thema Gewalt in der Ehe (in der Beziehung) wurde erstmals heftig öffentlich diskutiert. In größeren Städten entstanden erste Frauenhäuser als Zufluchtsorte aus Gewaltbeziehungen. In dieser Zeit lebte und arbeitete ich in einer kleinen und konservativen Stadt, wo aber auch (zumindest ausgehend von der dortigen Universität) der Ruf nach einer derartigen Einrichtung laut wurde. Die offizielle Reaktion der Politik: „So etwas brauchen wir hier nicht – es gibt keinen Bedarf!!!“

Die Frauen, die Opfer von „häuslicher Gewalt waren“ (eine seltsame Bezeichnung, als ob das Haus jemanden blau geschlagen hätte) waren selten um Ausreden verlegen: „Ich bin gestürzt, ich habe mich am Türpfosten angeschlagen!“ Selbst Prellungen, bis hin zu Brüchen wurden mit allen möglichen Ursachenzuschreibungen vertuscht. Die „Schande“ für die Familie (für die Frau?) wäre zu groß gewesen. Schließlich musste man nach außen hin ja heile und glückliche Familie spielen!  Daher „kein Bedarf“.

Die wenigen Frauen, die es gewagt hatten, Misshandlungen anzuzeigen, begaben sich in die große Gefahr der öffentlichen Ächtung: Die Frau durfte ihren Ehemann doch nicht „anschwärzen“ – das schien das weitaus größere Verbrechen.

Weibliche Scham – ein antrainiertes Verhaltensmuster? Der Zwang gesellschaftlichen Normen zu entsprechen. Individuelle Lebenskonzepte wurden sanktioniert!

Gesellschaftlicher Druck, in seiner brutalsten Form: Im hinduistischen Indien gab es bis hinein ins 20. Jahrhundert den Brauch der „Sati“, bei uns als Witwenverbrennung bekannt. Einmal abgesehen von der grundsätzlichen Grausamkeit dieses Rituals (wie wir es im Westen gerne empört „verteufeln“), hatte dieses Ritual nicht nur eine religiöse, sondern auch eine wichtige gesellschaftliche Funktion in der strengen patriarchalen Hierarchie:

Eine Frau, die es „zulässt“, dass ihr Gatte stirbt (weil sie offenbar nicht gut genug für ihn gesorgt hatte), hat somit kein weiteres Existenzrecht

Es ist besser, sie begleitet ihn ins Jenseits…. Das ist die Idee dahinter. Daher behaupten manche AutorInnen zu diesem Thema, es wäre für viele Frauen historisch gesehen wohl die für sie bessere Lösung gewesen, als unversorgt in Krankheit, Armut – verdammt zum Betteln, um zu überleben – den Rest ihrer Tage dahinzuvegetieren.

Einmal abgesehen davon, dass wir „Westler“ uns gerne der humanistischen Überlegenheit rühmen: In unseren Regionen sind ebenfalls viele tausende Menschen (ein Großteil davon Frauen) verurteilt von Kirche und Gesellschaft auf dem Scheiterhaufen umgekommen! Es liegt mir daher fern, im Glashaus sitzend mit Steinen zu werfen.

Was aber war/ist die grundsätzliche Idee hinter der Sati: Eine Frau, deren Ehemann stirbt, hat kein Recht zu überleben; sie ist (wenn auch unausgesprochen) schuld an seinem Tod. Sitzt das nicht, wenngleich in etwas abgemilderter Form noch immer in manchen Köpfen fest?

Die Rolle von Schuld und Scham im narzisstischen Beziehungsgeflecht

Dieses jahrtausendealte Muster in den Köpfen (im Westen, wie auch in anderen Kulturen) „verpflichtet“ Frauen, die Verantwortung für das Wohlergehen des Mannes zu übernehmen. (Hinter jedem erfolgreichen Mann steht ein Frau, die ihm den Rücken freihält!!) Geht der Mann weg, scheitert die Beziehung, so liegt es an ihr! Vielleicht hat sie ihn nicht richtig behandelt, nicht gut genug dafür gesorgt, dass seine Bedürfnisse befriedigt werden!?

Will sie ihn verlassen, dann wird gedroht und erpresst und immer wieder das Schuld- und Scham-Muster bedient. Wobei hier auch oft das Prinzip des gesellschaftlichen Rufmords eingesetzt wird. Die oft extrem eloquenten und charmanten Narzissten (und NarzisstInnen) verstehen es hervorragend, sich selbst als Opfer zu inszenieren und den verlassenden Partner/die Partnerin als in vieler Hinsicht defizitär darzustellen. Ein Lieblingszitat in dem Zusammenhang: Meine Frau ist „psychisch krank“! Das kommt meist recht gut an. Das klingt nicht wirklich nach bösartiger und rachedurstiger Denunziation. Das soll aber auch heißen – ach, das arme Geschöpf. Sie braucht Hilfe und kann natürlich auch nicht allein für die Kinder sorgen!

Dieses noch immer tief verwurzelte Denken ist für ausgeprägte NarzisstInnen ein willkommenes Grundmuster, das ihnen erlaubt, all ihr eigenes Wohl und Wehe immer und ausschließlich an das Verhalten des Partners/der Partnerin zu knüpfen. Das Prinzip des „Du bist schuld!“ kann hier ganz bequem bedient und immer wieder getriggert werden.

Scham und Schuld in der Opfer-Täter-Umkehr

Betrachtet man nun aus dem vorher Beschriebenen, das Thema Schuld und Scham, so wird auch klar, wie leicht es durch bestimmte gesellschaftliche Bewertungen zu einer Täter-Opfer Umkehr kommen kann! Um dies wieder drastisch zu zeigen, sei hier noch einmal ein Beispiel aus Indien aufgezeigt:

Vergewaltigungen waren und sind in Indien nach wie vor in hoher Zahl an der Tagesordnung. Aber vor über zehn Jahren hat ein äußerst übler und extrem brutaler Fall die Gesellschaft schwer erschüttert. Er hat aufgezeigt, wie sehr allgemeine gesellschaftliche Bewertungen, die Täter zu dieser grausamen Tat bewogen haben. Der „Fall Choti“, eine grausamst brutale Gruppenvergewaltigung eines jungen Mädchens in einem Autobus (mit Todesfolge) brachte Millionen Demonstrierende auf die Straße. Sie forderten härtere Sanktionen für derartige Verbrechen, die oft nichtmal angezeigt worden waren (ein weiteres Phänomen, der schwer in den Griff zu bekommenden Korruption). In einer Dokumentation zu dem Fall Choti wurden die Täter interviewt, die offenbar überhaupt kein Unrechtsbewusstsein zeigten. Sie gaben dem Mädchen die Schuld, weil es abends (nicht einmal allein, sondern mit einem Freund/Studienkollegen) unterwegs war. Sie behaupteten, an dem Mädchen kein Verbrechen begangen zu haben, da dieses durch sein „schamloses Verhalten“ (abendliches Ausgehen) selbst schuld sei.

Die unglaublichste Opfer-Täter-Umkehr aber zeigte der Anwalt der Beschuldigten, indem er behauptete, er würde seine Tochter eigenhändig töten, wenn sie dieses „Verbrechen“ des abendlichen Ausgehens begehen würde! Dabei schilderte er, wie er sie ermorden würde; nämlich indem er sie mit Benzin übergösse und eigenhändig anzündete!

So viel zur traditionellen, gesellschaftlichen Geschlechter-Rolle und deren Macht in der Beurteilung von Schuld!

Eine geschichtemachende Aufdeckung der Täter-Opfer-Umkehr ist von Golda Meir (der früheren israelischen Ministerpräsidentin) überliefert, die in den 1970er Jahren regierte: Als das Parlament vorschlug, man solle aufgrund vermehrter Gewalttaten an Frauen in den Abendstunden ab 21h ein Ausgehverbot für Frauen erlassen, antwortete sie klar: „Warum für Frauen?“ – und deckte damit das Prinzip der Täter-Opfer-Umkehr auf!

Solange aus gesellschaftlichen Normen heraus (und diese halten sich jahrzehntelang, auch wenn die gesetzliche Lage sich verändert) das Prinzip der Opfer-Täter-Umkehr die Gesellschaftsnorm widerspiegelt wirkt sich das auf Scham und Schuld aus.

Fazit: In narzisstisch geprägten Co-Abhängigkeits-Beziehungen werden daher gesellschaftlich festgefahrene Scham-Schuld-Muster immer wieder bedient! Solange diese Muster bei den jeweiligen PartnerInnen getriggert werden, bleiben meist beide in dieser unglücklichen Co-Abhängigkeit verstrickt.

Erst eine bewusste und gezielte Auseinandersetzung mit den eigenen Scham-Schuld-Mustern könnte aus dieser Zwickmühle herausführen.

Ihre Mag. Eva Nikolov-Bruckner (Psychologin)

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Ein kostenloses Beratungsgespräch mit Frau Nikolov-Bruckner können Sie über diesen Link buchen.

Unser Fragenkatalog wird in Österreicher automatisch an Frau Nikolov-Bruckner weitergeleitet. Hier finden den „österreichischen Fragenkatalog“.

Zusammen mit Regina Schrott (Gründerin von Narz mich nicht®) schrien Eva Nikolov-Bruckner „Narzissmus ist anstrengend“, das in unserem EMPATHIE Verlag erschienen ist.

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