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Wenn ich anfange, über die Allgegenwärtigkeit von Scham in unserer Kultur zu sprechen, bekomme ich fast immer dieselbe erste Antwort: „Okay, aber mein Thema ist es irgendwie nicht.“ Spannenderweise erlebe ich, wenn das Gespräch weiter geht, auch am Ende des Gesprächs oft dieselbe Reaktion: „Krass, ich hätte nie gedacht, dass Scham so sehr mein Thema ist!“

Wenn die Masken fallen dürfen… Darin kommen drei Dinge zum Ausdruck. Erstens: Die körperliche Wirkung von Scham ist, dass wir unseren Körper verlassen, uns von außen anschauen und nicht mehr spüren – also auch die Scham in unserem Körper drin nicht spüren. Zweitens: Scham ist ein kulturell zutiefst tabuisiertes und verleugnetes Gefühl, weil Be-Schäm-ung die Hauptstrategie (neben Be-Schuld-igung) unserer christlich-ptriarchal-kapitalistischen Kultur ist, sich selbst zu installieren und aufrecht zu erhalten. Drittens: Weil das schon so ziemlich zu Beginn unseres Lebens (streng genommen sogar schon lange vor unserer Geburt) beginnt, haben wir schon vor seeehr langer Zeit aufgehört, die Dinge zu machen, zu sagen und sogar zu wollen, für die wir gelernt haben uns zu schämen. Kein Wunder, dass wir dann erst einmal nicht erkennen, dass Scham unser Thema ist, oder?

Bevor wir tiefer einsteigen: Mir ist sehr wichtig, leider auf Kosten der Lesbarkeit jedes Mal die weibliche UND die männliche Form zu benutzen, um der kulturellen Verzerrung entgegen zu steuern, dass in der Regel die Männer als die Narzissten und die Frauen als Empathinnen betrachtet werden. In dieser Verzerrung zu bleiben, macht es den betroffenen männlichen Opfern narzisstischen Missbrauchs (die es genauso gibt!) ungleich viel schwerer, sich in ihrer Not zu zeigen und gesehen zu werden.

Wenn wir bedenken, dass unsere Kultur nicht nur eine ist, die Narzissmus nicht nur begünstigt, sondern uns geradezu dazu erzieht

z.B. mit Sätzen wie diesen: „Wenn du nicht unter den Besten bist, nicht alles kannst und immer Recht hast, bist du unter „ferner liefen…“ und hast keine Chance – und wenn du es nicht schaffst, unter den Besten zu sein, bist du ein Nichts“

Wenn wir also davon ausgehen, dass unsere Gesellschaft uns geradezu dahingehend erzieht, wird Ihr Leiden an einem narzisstischen Partner / einer narzisstischen Partnerin NATÜRLICH strukturell großflächig übersehen bzw. verleugnet. Jede/r muss streng genommen zusehen, dass er / sie eigene Mängel verleugnet und auf die der anderen zeigt, um nicht als einzige/r aus der Reihe zu treten und sich damit selbst zu degradieren. Weil es so NORMAL ist, ist es quasi unsichtbar. Und weiter: Ihre Wahrnehmung steht gegen die Aussage Ihres Partners / Ihrer Partnerin, die Ihre umgehend zu Lügen degradieren muss – und damit (für andere ununterscheidbar und verwirrend) beschämt.

Scham ist aber nicht nur da, weil wir an vielen Stellen die Botschaft empfangen haben, dass ein Verhalten dumm und falsch ist und wir die Masken nicht fallen lassen dürfen

Viel subtiler, aber genau darum mindestens ebenso wirksam, ist die Beschämung durch NICHT-Reaktion – durch Ignorieren oder Nichtbeantworten – als würden Sie (oder Ihre spezifischen Positionen) gar nicht existieren. Als ich selbst noch keine Ahnung von Scham hatte, habe ich dieses Phänomen noch „Einseitigkeitsschmerz“ genannt. So wertlos, dass ich keiner Antwort würdig bin – als wäre ich gar nicht da. Wir sind aber Menschen und damit Bindungswesen – und als solche sind wir auf Resonanz, auf Antwort angewiesen, solange wir leben. Mit gezieltem Nichtbeantworten – auf neudeutsch: Gaslighting – können wir Menschen abrichten und unseren Interessen entsprechend gefügig machen.

So gibt es in oder nach narzisstischen Beziehungsdynamiken unendlich viele offene und subtile Beschämungen: Die Scham für die Liebe zu diesem Partner/dieser Partnerin. Die Scham dafür, so lange oder überhaupt an die Liebe des Partners / der Partnerin geglaubt zu haben. Die Scham dafür, es nicht durchschaut zu haben / nicht losgekommen zu sein. Die Scham für die eigene Abhängigkeit. Die Scham dafür, WIE anders die Beziehung ist oder war als die Partnerschaften im Freundeskreis. Wenn es Kinder gibt, auch die Scham dafür, dass die Kinder erleben, wie Sie von Ihrem Partner / Ihrer Partnerin behandelt werden bzw. sich behandeln lassen. Mit Sicherheit noch unendlich viele einzelne Situationen, die mit Scham verbunden waren. Und schließlich vielleicht auch die Scham, es nicht geschafft zu haben, diese Partnerschaft zum Guten zu wenden.

Alles zusammengefasst: Die Scham, Opfer (gewesen) zu sein. Wissen Sie was? Sie können nichts dafür!

Was aber, wenn Sie – auch ohne etwas dafür zu können – nicht nur Opfer, sondern vollkommen unbewusst (und dadurch vielleicht noch viel schambehafteter) auch Täter (geworden) wären?

Willkommen im alt bekannten Spiegelkabinett? Meine liebevoll provokante Forschungsfrage für Sie (weil ich Ihnen keinen Gefallen tue, wenn ich Sie ausschließlich als Opfer betrachte und anspreche): Gibt oder gab es wirklich nur EINEN Narzissten in Ihrer Partnerschaft?

Die oben benannte Scham, es nicht erkannt zu haben, was läuft, bzw. so lange nicht von diesem Partner / dieser Partnerin losgekommen zu sein, führt nämlich unmittelbar und geradewegs mitten in die Büchse der Pandora: Zur eigenen Verführbarkeit durch all das, was diese/n Narzisst/in ursprünglich so anziehend gemacht hat: Seine / Ihre Strahlkraft und Wortgewandtheit. Warum sind wir denn nur so verführbar dafür…- wenn nicht, weil wir haargenau dieselbe narzisstische Wunde in uns tragen, uns als ein Nichts zu fühlen – nur mit der komplementären Drehung darin, die so perfekt wie ein Schlüssel ins dazugehörige Schloss zu Ihrem Partner / Ihrer Partnerin passt? Genau deshalb haben Sie nämlich diese/n Partner/in gewählt: Als quasi magische Lösung, von Ihrem eigenen (vielleicht unbewusste) Gefühl der Nichtigkeit mit seinem / ihrem Glanz abzulenken und sie zu überstrahlen. Auf dass niemand sie mehr bemerkt – nicht einmal Sie selbst.

Wenn Sie sich schon eine Weile mit Narzissmus beschäftigen, dann haben Sie mit Sicherheit mindestens zwei Dinge erfahren: Die fehlende „Krankheitseinsicht“ und die Empathieunfähigkeit der Narzissten

Und genau HIER liegt der Haken an der Sache: Weil wir in unserer Kultur gelernt haben, Menschen in Narzissten / Kranke und Empathen / Gesunde einzuteilen, dann leugnet das genau die Tatsache, dass unsere Kultur uns standardmäßig bei unserer Geburt die narzisstische Urwunde mit in die Wiege legt – entweder mit der einen (grandiosen) oder der anderen (minderwertigen) Drehung in der Außenansicht: Vermeintliche/r Narzisst/in oder scheinbare/r Empath/in. Tatsächlich ist das aber eine fälschlicherweise SEHR vereinfachte und polarisierende Darstellung, mit der Sie sich üüüberhaupt keinen Gefallen tun. Warum nicht? Weil Sie damit auf immer Opfer der weiteren Entwicklungen bleiben, sich gut möglich immer wieder aufs Neue in solchen Beziehungsdynamiken wiederfinden und sich zunehmend dafür schämen. Haben Sie sich doch ganz fest vorgenommen: Sowas passiert mir NIE NIE WIEDER!

Nur bei sehr wenigen Menschen mit furchtbar traumatischen Geschichten ist wirklich die Empathiefähigkeit komplett zerstört und durch eine sadistische Freude ersetzt, grausam mit Liebe zu spielen – weil genau das die frühe Lebenserfahrung war: Dass grausam und demütigend mit IHRER Liebe gespielt wurde. Sie fallen in die Kategorie, die sich DUNKLE TRIADE nennt: Wenn nämlich Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie gleichzeitig vorhanden sind.

Natürlich könnten gerade Sie das große Pech haben, an ein solches Exemplar von Mensch geraten zu sein. Dann ganz sicher, weil auch Ihre Geschichte mit besonders viel Unglück bedacht wurde. Aber in jedem Fall wäre es für Sie von immenser Bedeutung, sich mit Ihrer eigenen Anfälligkeit für Idealisierung und narzisstische Aufwertung sowie Ihre große Schwierigkeit zu interessieren, Ihrer eigenen Wahrnehmung zu trauen. Auf jeden Fall haben Sie …

das perfekte Gegenstück zu Ihrer eigenen narzisstischen Urwunde

… schon als Kind in Ihrer Einzigartigkeit nicht nur unerkannt, sondern entwertet, gehasst und zunichte gemacht worden zu sein – zielsicher unter vielen erkannt.

Wenn Sie diesen Blogartikel lesen, dann sind Sie vermutlich eher der Part, der sich lebensgeschichtlich mit der zugeschriebenen Minderwertigkeit identifiziert hat (und nicht mit der kompensatorischen Grandiosität). Und genau DAS ist das Siegfriedsche Lindenblatt – die eigene Verführbarkeit durch Grandiosität: Niemand kann und wird Sie die in der Tiefe empfundene Minderwertigkeit SO SCHNELL vergessen lassen wie ein „grandios identifizierter“ Mensch mit narzisstischer Urwunde, der Sie mit den wunderbarsten Worten aus Leibeskräften idealisiert. Wäre da in Ihnen NICHT dieselbe Wunde – es käme Ihnen schräg, maßlos übertrieben und höchst manipulativ vor und Sie würden schnell das Weite suchen.

Was all die Menschen mit der kulturell NORMALEN narzisstischen Urwunde gemeinsam haben

  • Ein tiefes Gefühl eigener Wertlosigkeit und SCHAM/Schuldgefühlen für ihr Opfer-Sein,
  • Eine immense aus der Not geborene EmpathieFÄHIGKEIT,
  • Eine große Schwierigkeit in Bezug auf Grenzen (weil die eigenen als Kind nicht die geringste Rolle spielten und darum Grenzen bis heute ein nebulöses Wort ohne spürbare Bedeutung ist),
  • Eine Unfähigkeit, bei eingeschalteter Empathie Grenzen zu setzen,
  • Ein reflexhaftes AUSschalten von Empathie, wenn der Urschmerz berührt wird – quasi als kompensatorische Grenze ODER um blitzschnell die eigene Scham loszuwerden an den Partner / die Partnerin,
  • Eine Fähigkeit, Empathie strategisch EINzuschalten,
  • Eine Unfähigkeit, den strategisch selektiven Gebrauch der Empathiefähigkeit an sich selbst zu erkennen.

Was also, wenn Ihr eigener strategischer Gebrauch von Empathie ebenso unsichtbar für Sie selbst wie für jeden anderen Menschen mit einer narzisstischen Wunde wäre?

Huuuh, wie beschämend wäre denn DAS, die eigene NARZISSTISCHE Verführbarkeit und Bereitschaft zu idealisieren – gespeist aus derselben Urwunde – nicht gesehen oder verkannt zu haben?!

Sie haben aber hier zum einen schon erfahren, dass es quasi fast normal in unserer Kultur ist, in irgendeiner Ausprägung zu diesen Menschen zu gehören. Zum anderen ist dieses Wissen für Sie von überaus großem Gewinn, sobald Sie sich (zumindest schon einmal heimlich) dafür öffnen und es in Ruhe überprüfen. Es kann Sie ja zum Glück niemand dazu ZWINGEN, diesen inneren heimlichen oder sogar unbewussten Gebrauch Ihrer Empathiefähigkeit zu offenbaren. Sie haben also alle Zeit der Welt, um nur für sich zu forschen: Können Sie – emphatisch wie Sie sind – gleichzeitig gut Grenzen spüren und setzen? Zweifeln Sie manchmal zutiefst an sich selbst, ohne es aber zuzugeben? Was tun Sie, wenn Sie sich von Ihrem Partner / Ihrer Partnerin entwertet fühlen? Kann es sein, auch Ihre Empathiefähigkeit wird dann und wann zu einer sehr distanzierten Betrachtung oder gar Belehrung von oben herab – natürlich zum Besten Ihrer Partnerin / Ihres Partners? Oder schämen Sie sich für Ihre heldenhafte Fähigkeit zum Leiden – und nennen es Liebe? Oder Sie zweifeln (sehr heimlich) daran, ob Sie überhaupt wirklich lieben können?

Wissen Sie was? Für mich ist Scham der Schlüssel zur Heilung geworden

Allerdings ist es mir erst möglich geworden, unter der Scham meinen eigenen hinter vermeintlicher chronischer Empathie versteckten Narzissmus zu erkennen, seit ich in Augen geschaut habe, in denen ich wirkliche Liebe und Güte gesehen habe. VON EINEM NARZISSTISCH VERWUNDETEN MENSCHEN. Die MIR galt – auch wenn ich mich eine ganze Weile schwer getan habe, es zu glauben. Und NATÜRLICH geht mit der narzisstischen Urwunde in der Liebe ein gutes Stück Abhängigkeit (von der permanenten Bestätigung oder besser noch Idealisierung durch den Partner / die Partnerin) einher. Und NATÜRLICH wachsen mit dem Ausbleiben der Bestätigung die Selbstzweifel und die Wut auf die eigene Abhängigkeit. Und dann ist die spannende Frage: Wie gut kann ich DANN meine und / oder die Grenzen des Anderen spüren und achten? Kann ich meinen Schmerz halten, ohne ihn sofort dem Partner / der Partnerin in Form von Vorwürfen vor die Füße schütten? Und kann ich mir vorstellen, dass es WIRKLICH eine schönere Art von Beziehung für mich gibt? Kann ich mir TATSÄCHLICH vorstellen, GEWOLLT zu werden, wenn ich nicht mehr GEBRAUCHT werde?

In jedem Fall war es mir eine unglaubliche Erleichterung – ja, sogar Glück! – meine heimlichen Vorteile preiszugeben und darauf zu verzichten. GANZ FREIWILLIG! Denn dadurch habe ich erstmals wirkliche Augenhöhe erlebt, nach der ich mich mein ganzes Leben lang gesehnt hatte. Und was gibt es – bei aller Scham des eigenen Erkennens – Schöneres, als wirkliche Verbindung zu erleben?! Mit jeder Offenbarung, jedem Verzicht ein bisschen mehr… Die Scham aufzuspüren – Opfer zu sein, Täter/in zu sein, und vielleicht sogar zuerst ihre Schwester, die Sekundärscham (dafür, dass wir uns überhaupt schämen) – ist ein Tor in eine neue Welt.

Ich lade Sie ein, diese zu betreten!

Am 27. Februar um 19:30 Uhr findet ONLINE das kostenfreie Webinar WAGNIS WAHRHAFTIGKEIT statt. Es ist der virtuelle Appetithappen für das 5-tägige Live-Retreat WENN DIE MASKEN FALLEN DÜRFEN – vom 13.-17. April in der Akademie in der Mühle an der Nordsee (www.beruehrend-lebendig.academy). Entdecken Sie Ihre Scham als Tor zu Ihrer Lebendigkeit und lernen Sie sich ganz neu kennen! Nachricht an lebendig@christina-sogl.de

grüner Narz mich nicht Strich

Christina Sogl ist Diplom Psychologin und Kooperationspartnerin von Narz mich nicht®. In ihrer Akademie in der Mühle bietet sie zum Thema das WAGNIS WAHRHAFTIGKEIT an.

Ein kostenloses Erstgespräch mit ihr können Sie über unseren Buchungskalender buchen.

Zusammen mit Regina Schrott (Gründerin von Narz mich nicht®), Nici Bühlmaier und einer weiteren Kooperationspartnerin, Nina Zopes, schrieb sie das Buch „Der Dämon und das Innere Kind“, das im EMPATHIE Verlag im Dezember 2023 erschienen ist.

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