Ich werde in meiner Praxis oft gefragt: Was, wenn Kinder toxisch werden? Bevor ich diese Frage beantworte, lassen Sie uns einen Blick auf die Eltern machen und herausfinden, was genau das Toxische ist, zu dem ein Kind werden kann.
Grundsätzlich können wir sagen, dass jeder Mensch narzisstische Anteile in sich trägt. Nur, wie heißt es so schön? Die Dosis macht das Gift. Narzissmus an sich ist weder böse noch gut. Narzissmus ist eine Funktion, wie ein Messer in der Küche. Wir können damit eine Wurst oder ein Stück Kuchen aufschneiden – wir können mit demselben Messer auch jemand anderen (oder uns selbst) verletzen.
Solange man weiß, dass man ein Messer in der Hand hat und in der Küche steht und nicht vorhat, jemanden zu verletzen, sondern einfach nur Nahrung aufschneiden möchte, ist alles in Ordnung.
Schwierig und mitunter sogar gefährlich wird es, wenn man sich des Umstands nicht bewusst ist, mit einem Messer in der Küche zu stehen, und wenn einem niemand erklärt hat, wie gefährlich das Herumfuchteln mit einem Messer ist. Noch komplexer wird es, wenn ein weiterer Mensch in der Küche ist und nicht einsieht, dass der Mensch mit dem Messer nicht weiß, was er tut und dass er überhaupt ein Messer in der Hand hat.
Im narzisstisch-echoistischen Kontext steht dieses Bild eines Messers stellvertretend für verbale und nonverbale Verletzungsmöglichkeiten
Ein Mensch mit einem Helfersyndrom wird beschwichtigend und deeskalierend in das oben beschriebene Küchenszenario eingreifen. Er wird es aus seiner Sicht gut meinen und helfen wollen, während der andere Mensch in diesem „Helfenwollen“ einen Angriff sieht. Er wird sich wehren, unreflektiert mit einem Messer in der Hand, von dem er nichts weiß.
Helfersyndrom und Messer stehen sich gegenüber, sprechen aber nicht dieselbe Sprache. Sie kommunizieren komplett aneinander vorbei. Bedürfnisverloren. Es kommt zur Eskalation. Beide Seiten erschrecken sich im Spiegelbild des anderen.
So und nun stellen wir als stillen Beobachter in diese aufgeladene Szenerie ein Kind, das zu den beiden Protagonisten in der Küche (oder sonst wo) einen engen Bezug hat; das von diesen beiden geprägt wurde/wird und ihnen vertraut; dass in diesen beiden Menschen ein Vorbild sieht, dem es entsprechen und gerecht werden möchte…
Was, wenn Kinder toxisch werden?
Wenn ein Kind von klein auf die funktionalen Beziehungsstörungen seiner Eltern mitbekommt und tagtäglich mit toxischen Verhaltensmustern konfrontiert wird, ahmt es diese unweigerlich nach. Das Kind erlebt seinen Alltag als normal. Es lernt im Spannungsfeld der Eltern zu überleben und wird seine eigenen Überlebensstrategien zwischen den Fronten entwickeln.
Es wird sowohl das Narzisstische als auch das Echoistische ausprobieren und für sich entscheiden, womit es besser fährt. Möglicherweise trifft es in der Pubertät die Entscheidung, niemals ein Messer in die Hand zu nehmen, um das Bild von oben wieder aufzugreifen.
Es könnte sich aber auch dafür entscheiden, am besten zwei Messer, jeweils eines in jeder Hand zu halten. Wenn diesem Kind niemand erklärt, welche Dynamiken und Muster sich im Miteinander der Eltern „abspielen“, wird es seine eigenen logischen Schlüsse daraus ziehen, und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es ebenfalls unbewusst wie seine Eltern bleibt und damit toxisch wird.
Wenn das Kind die Trennung seiner Eltern mitbekommt (zwischen dem 8. und 18. Lebensjahr des Kindes sollten sich Eltern übrigens nicht trennen – davor und danach ist es für die Entwicklung eines Kindes weniger störend) wird es die Gründe für die Trennung bei einem Elternteil oder sich selbst vermuten. Klärt wieder niemand das Kind auf oder nimmt ihm die Last der selbst auferlegten Schuld von den Schultern, bleibt unweigerlich etwas Toxisches in seinem Leben.
Dazu kommt leider noch, dass die wenigsten Trennungen friedlich und einvernehmlich vollzogen werden, sondern meist ein Elternteil dem anderen die Schuld für das „Scheitern der Familie“ gibt
Welcher Elternteil mehr Zeit mit dem Kind verbringt, ist – nach unserer Erfahrung nach 6 Jahren Arbeit für Narz mich nicht und mehr als 3.000 KlientInnen – fast unerheblich. In nur zwei Stunden an einem Wochenende kann der narzisstisch akzentuierte Elternteil die Weltordnung eines Kindes zertrümmern.
Doch in der liebevollen Haltung und Aufrichtigkeit des empathischeren Elternteils wird es sich wiederfinden – auch wenn das nicht in zwei Stunden gelingt. Die Fürsorge und Fähigkeit der wohlwollenden (Selbst)Reflexion braucht Zeit, Geduld und Vertrauen.
Kinder aus narzisstisch geprägten Elternhäusern haben meist sehr feine Antennen
Solange diesen Antennen niemand das Gefühl gibt, sie würden das Falsche wahrnehmen, können diese Kinder sehr resilient aufwachsen.
Sobald ein Elternteil komplett unkorrigiert auf das Kind einwirkt und dessen feinen Antennen kaputt macht, fehlprogrammiert und das Kind seiner Intuition beraubt, wird das Kind toxisch. Ob es mit dieser Toxik narzisstisch oder echoistisch in der weiteren Folge seines Lebens umgehen wird, hängt von weiteren wichtigen Personen ab. Dazu können LehrerInnen, TrainerInnen, andere Familienmitglieder, etc. zählen.
Es braucht einen Menschen im Leben jedes Kindes, der dieses unvoreingenommen um seiner selbst willen liebt und Halt gibt
Und auch hier geht es nicht um Quantität, sondern Qualität. Das Kind braucht vor allem in seiner prägendsten Entwicklung (zwischen 0 und 8 Jahren) die Erfahrung, zu genügen bzw. richtig zu sein.
Wird einem Kind diese Erfahrung durch keinen anderen Menschen als Referenz zu teil, kann es gar nicht anders als toxisch, im Sinne von maligne (absichtsvoll boshaft) werden – aus einem existenziellen Selbstschutz heraus.
Ein Kind kann aber genauso toxisch werden, wenn man ihm falsche Tatsachen vorspielt, die mit der erlebten Realität im Miteinander mit anderen Menschen nicht funktionieren. Das Kind läuft dann in gewisser Weise ständig neben der Spur, ohne Korrektur. Es wird anecken, keine Freunde finden und in sich die Gefühle von innerer Leere, Scham und Neid abspeichern.
Innere Leere, Scham und Neid sind der Nährboden für narzisstische Nöte
Wenn ein Kind in narzisstischer Not erzogen wird, braucht es toxisches Verhalten, um zu überleben. Es muss andere Menschen quälen, um nicht selbst weiter leiden zu müssen. Es wird sich immer und überall vergleichen und besser sein müssen als andere, sei es durch extreme Leistungen oder indem es andere schlecht macht.
Was, wenn Kinder toxisch werden?
Dann werden sie ihrerseits weitere toxische Kinder in die Welt setzen und das narzisstische Generationendrama geht weiter und weiter.
Wenn Kinder toxisch werden, braucht es viel Geduld, gute Gespräche, Vertrauen und manchmal, so bitter es ist, losgelassen zu werden. Aber nicht aufgegeben! Das ist eine mitunter sehr anstrengende und herausfordernde innere Haltung pro-aktiver Liebesverbindung: Lieben ohne jeglichen Anspruch auf Gegenleistung.
Da sein, ohne sich aufzudrängen.
Nachrichten schicken, ohne eine Antwort zu erwarten.
Lieben ohne Gegenliebe.
Diese Kinder stellen unsere eigene Liebesfähigkeit auf den Prüfstand und lehren uns, gegen alle gesellschaftlichen Erwartungen und „Müssens“ zu lieben. Etwas, von dem unsere Welt viel mehr braucht.
Solange diese Kinder nicht aufgegeben werden, sind sie auch nicht verloren
Und wer verloren ist, bestimmen im Übrigen nie wir. Denn jeder von uns ist mit seinem eigenen Seelenplan auf diese Welt gekommen und muss für sich selbst lernen und die Erfahrungen von richtig und falsch machen. Auch Sie und ich!
Herzlichst Ihre Regina Schrott
(Gründerin von Narz mich nicht, Zertifizierte Mediatorin, Systemischer Coach und Autor)
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