Dieser Blogbeitrag ist ein Auszug eines Kapitels aus dem Roman „Ich bin Echo“ von Regina Schrott, der gerade im Entstehen ist. Das gesamte Werk wird voraussichtlich diesen Sommer im EMPATHIE Verlag erscheinen.

Rückblickend war es einer der schönsten Sonntagmorgen im Paradies

Die Vögel zwitscherten und ich sang mit ihnen zusammen zum Spaß um die Wette, als könnte irgendjemand singend schneller sein. Es war uns auch egal. Der Morgen hatte etwas großartig Gleichgültiges. Alles war gleich hell, gleich grün, gleich schön und der Wunder voll. Über allem lag eine fröhliche Leichtigkeit.

Die Sonnenstrahlen spielten mit dem Tau auf den Blättern, als würden sie gläserne Murmeln hin und her rollen. Der Waldboden roch nach feuchter Erde und modrigem Laub. Es war einer dieser Morgen, die ich versuchte, durch meine Anwesenheit nicht zu stören. Ich fügte mich ein, um ganz und gar mit allem in Verbindung zu sein.

Das gelang mir unter anderem, indem ich überaus behutsam meine Schritte barfuß auf die Erde setze und dabei versuchte, kaum gewichtig zu wirken, um sicher kein Insekt zu verletzen. Meine Sandalen hatte ich extra zu Hause gelassen. Ich trug nur mein Lieblingskleid. Das hellrote aus dünnstem Stoff. Darunter nichts. Am liebsten wär‘ ich nackt gewesen, denn ich liebte es, auf meiner Haut den Übergang von mir zur Luft zu spüren, die zu dieser frühen Tageszeit kühler war als ich. Das änderte sich, sobald die Sonnenstrahler wärmer wurden. Dann gab es für einen Moment keinen Temperaturunterschied zwischen der Luft und mir. Das war mir das Liebste. Dann gehörte ich so sehr dazu, war so eins mit allem, dass ich lachen und weinen hätte können gleichzeitig. Ein berauschendes Glücksgefühl, ganz ohne Trennung zu sein, grenzenlos als Teilchen der Unendlichkeit.

Ich liebe es. Ich liebe es. Ich liebe das einfach.

Ich warf meinen Kopf in den Nacken und riss den Mund weit auf, um ganz viel Luft auf einmal in meine Lungen strömen zu lassen und tönte dann aus der Tiefe meiner Eingeweide, dass alles an mir vibrierte und ich herzlich lachen musste, weil sich das so kitzelig anfühlte.

Und dann tanzte ich und drehte mich voll Freude im Kreis. Ich wurde immer schneller und das Blätterdach über mir wurde zum Kaleidoskop. Ich genügte mir vollkommen in dieser Fülle. Ich war nach so vielen Jahren des Suchens und an mir Zweifelns ganz bei mir angekommen. Ich war dankbar für mein Leben, meine Fähigkeit, mit meiner Stimme Freude zu bereiten und darüber, nun sogar die richtige Dosierung meiner Zus gefunden zu haben.

Ich hatte endlich meinen Platz eingenommen in meinem Leben

Es war einfach alles sehr gut. So hätte es bleiben dürfen, doch plötzlich, wie aus dem Nichts, stand ausgerechnet er vor mir.

Ich erstarrte. Als hätte der Himmel sich verfinstert und mein Kleid sich in ein Kettenhemd verwandelt. Mein Herz galoppierte mir an meinen Schläfen davon.

Er war sichtlich amüsiert darüber. „Normalerweise freut man sich, wenn man mich sieht“, meinte er.

„Normalerweise bin ich hier allein“, entgegnete ich. „Soso, meine Anwesenheit stört dich also? Das ist interessant“, sagte er.

„Wir brauchen uns beide aneinander nicht zu stören. Der Wald ist groß genug. Wenn du dort lang gehst und ich hier, kommen wir uns gar nicht in die Quere“, antwortete ich ihm verärgert.

„Du gefällst mir. Du hast etwas Keckes und flirtest, ohne es zu wissen.“

„Ehrlich gesagt“, wollte ich ihm erklären, dass mich seine Anwesenheit tatsächlich unsäglich störte. Ich empfand ihn unverschämt. Ich hatte kein Interesse an Smalltalk im Wald. Ich genügte mir selbst, aber so schnell konnte ich gar nicht „pieps“ sagen, da hatte ich bereits seine Zunge im Mund. Er packte mit einer Hand fest meinen Nacken und zog mit der anderen mein Becken an seines. Es schauderte mir seltsam dabei. Alle Alarmglocken schrillten laut in mir auf. Ein Teil von mir wollte meine Beine in die Hand nehmen und ganz schnell wegrennen. Aber ich blieb stehen, weil es mich erregte und ein anderer Teil in mir neugierig war, was als nächstes passieren würde. Schlägt er mir gleich den Kopf ab? Obwohl ich so ein Verhalten strikt ablehnen müsste, sollte, würde, hätte mich jemals jemand darauf vorbereitet, auf einen Moment wie diesen. Es war geil und scheiße.

Wie sagt man, dass sich das, was gerade geschehen  ist, wie eine Vergewaltigung angefühlt hat – seine Zunge in meinem Mund – ohne zickig zu klingen?

Wie geht man mit dieser Unverschämtheit um, wenn es mir bescheuerterweise gefallen hat, aber irgendwie halt auch nicht?

Dann kam noch dazu, dass er nicht irgendwer war, sondern ausgerechnet er, bei dem ich felsenfest sicher davon ausging, dass ich ihn nicht einmal im Alptraum interessierte, noch dass er zu diesem für mich werden würde? Ich dachte immer, er und ich, wir sind wie Tag und Nacht, wobei ich weder Nacht noch Öl sein wollte.

Belämmert blieb ich vor ihm stehen. Alles, was sich noch vor wenigen Sekunden logisch angefühlt hat: körperliche Grenzen, Temperaturunterschiede, die Gravitation, das Spiel von Schatten und Licht, ich selbst, all das ergab nun keinen Sinn mehr.

Ich ergab plötzlich in diesem meinen Wald keinen Sinn mehr

Auch wenn mir natürlich immer schon klar gewesen ist, dass dies nicht mein Wald war und er nicht mir gehörte.

Ich wartete auf den nächsten Kuss, obwohl ein Teil in mir sich am liebsten einfach aufgelöst hätte. Mein Gesicht hing ohne Rückgrat in der Luft. Ich schloss die Augen. Vielleicht war er wieder weg, wenn ich sie erneut öffnete und dann verbuchte ich das alles hier unter eines meiner Hirngespinste.

Ich blinzelte.

Er stand unsicher vor mir, als hätte ich bei ihm eine Grenze überschritten und nicht umgekehrt

Aus seiner Sicht war das für ihn sogar wirklich so, wie er mir später immer und immer wieder in unzähligen epischen Diskussionen noch und nöcher erläutern wird müssen, weil ich mir grundsätzlich alles falsch merke.

„Du bist also die berühmt berüchtigte Echo, von der man berichtet, dass sie zu allem und jedem etwas zu sagen hat. Du bist das klügste Mädchen hier im Wald mit der schönsten Stimme. Ich habe auf dich gewartet und endlich hast du mich gefunden.“ Überraschte er mich mit diesem nie gehörten Bombardement an Komplimenten. War das dieses Lovebombing, vor dem Euch so viele Narziss ExpertInnen warnen? Soll ich die Erste gewesen sein, die jegliches mulmige Gefühl ignorierte?

Ach, scheiß doch drauf!

Soweit ein Auszug eines Kapitels aus dem Roman „Ich bin Echo“ von Regina Schrott.

„Ich bin Echo“ wird im Sommer im EMPATHIE Verlag erscheinen. Unsere Bücher können Sie über das Bestellformular bei uns anfordern. Noch verpacken wir jedes Buch persönlich per Hand und bringen es mit dem Fahrrad zur Post.

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