Das Thema Einsamkeit in Zusammenhang und manchmal auch im Gegensatz zum Alleinsein ist ein zutiefst menschliches, das sich durch die gesamte Geschichte zieht und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit
Zweifelsohne ist der Mensch ein soziales Wesen und benötigt daher zum Überleben andere Artgenossen – oder doch nicht?
Wenn wir ganz weit zurückblicken, so stimmt das auf alle Fälle: alle alten (prähistorischen) Funde bestätigen uns, dass wir Menschen in Sippen, Horden, losen Großfamilien, Clans und anderen sozialen Formen gelebt haben. Zumindest sagen uns das die Funde, aber wissen wir es so genau?
Es liegt auf der Hand, dass es sich in Urzeiten leichter jagen und sammeln ließ, wenn alle zusammengeholfen haben
Aus dieser Jäger- und SammlerInnenkultur haben sich schließlich durch die Entdeckung und Kultivierung des Ackerbaus feste Siedlungen entwickelt. Jäger- und SammlerInnen wurden zu Bauern und BäuerInnen. So weit, so klar! Aber wissen wir eigentlich, ob es nicht doch Einzelkämpfer, Einzelgänger, Eremiten (wohl auch in weiblicher Form) schon damals gab, die es schafften, allein irgendwie ihren Lebensunterhalt zu bestreiten? Menschen, die freiwillig außerhalb dieser sozialen Verbände leben wollten?
Blicken wir ins Tierreich! Ein Blick auf die Säugetiere genügt und wir finden hier ebenfalls sehr unterschiedliche Formen von sozialem Zusammenleben. Das reicht von größeren (Rudel)Verbänden bis zu passioniertem Einzelgängertum. Das beginnt schon bei den Großkatzen, den LöwInnenrudeln versus einzelkämpfenden Panthern oder TigerInnen!
Manches haben wir scheinbar in den Genen
Die Gene haben sich auch in den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte immer wieder den jeweiligen Lebenssituationen entsprechend angepasst. So gibt es Menschen, die sich hauptsächlich in größeren Gruppen wohl fühlen, die in der Menge Energie tanken und denen nicht genug Trubel herrschen kann.
Andere wiederum brauchen ihre Rückzugszeiten und -orte, um mit sich und ihrem Leben irgendwie in Einklang kommen zu können. Meist können wir bei uns „modernen westlichen“ Menschen verschiedenste Mischformen ausmachen.
Wo sind jetzt aber der Unterschiede zwischen Alleinsein und Einsamkeit?
Muss man/frau sich im Alleinsein schon mal grundsätzlich einsam fühlen? Sicher nicht! In der Psychologie gibt es seit den 1950er Jahre eine gewisse Tendenz: Menschen, die sich gerne zurückziehen als „ängstlich“ und/oder neurotisch anzusehen. Diese Sichtweise wurde vor allem durch die Persönlichkeitstheorien von Eysenck populär gemacht. Inzwischen wurde dieses Konzept aber differenziert und erweitert. Menschen wurden demnach ursprünglich als mehr oder weniger introvertiert oder extrovertiert eingestuft. Dies wurde aber zugleich mit einer Tendenz ins Neurotische in Zusammenhang gebracht.
Inzwischen ist man glücklicherweise einige Schritte weiter. Nicht jeder Mensch, der den großen Trubel scheut, ist deshalb schon introvertiert und damit neurotisch! Viele derartige Zuschreibungen haben mit einer kulturell bedingten Sichtweise von „sozialer Normalität“ zu tun und sind daher nicht als allgemein gültige menschliche Eigenschaft anzusehen.
Hier ein Beispiel, wie stark die Ideen von Allein- und oder „In Gesellschaft sein“ kulturell bedingt sind und gesellschaftlichen Normen unterliegen, die sich wandeln
Schon in meinen jungen Jahren versetzte mich der platte Spruch „So allein, schöne Frau?“ durchaus in Rage. Wie konnte sich jemand (meist männlich) anmaßen, über meine Befindlichkeit im Zusammenhang mit Alleinsein ein Urteil zu fällen?! Meist war ich durchaus gern allein. Und wenn nicht, so wollte ich mir die Gesellschaft selbst aussuchen und mir nicht gewaltsam irgendeine „Gesellschaft“ aufnötigen lassen.
Der kulturelle Hintergrund dazu besagte allerdings: Eine junge Frau sollte grundsätzlich nicht allein sein – sondern immer in (männlicher?) Begleitung. Etwa hundert Jahre früher war es wichtig, dass ein junges Mädchen, wenn schon nicht mit der Familie, so doch zumindest mit einer „Anstandsdame“ unterwegs zu sein hatte.
Alleinsein als Qualität – eine moderne Forderung?
Ist es also hauptsächlich eine soziale Forderung, nicht allein zu sein (vor allem für Frauen) und wie weit wurde hier das Alleinsein mit Einsamkeit gleichgesetzt?
Wenn wir uns die beiden Begriffe aus sprachlicher und etymologischer Sicht betrachten, so zeigt sich im Deutschen, dass hier eine gewisse Unterscheidung zu machen ist. Während z.B. im Englischen (und auch in anderen Sprachen) die Begriffe für Einsamkeit und Alleinsein die gleiche Sprachwurzel haben (lonely/lonelyness), so ist das im Deutschen nicht der Fall.
Einsam beinhaltet „das Eine“ – aber vielleicht auch das „Einssein“ im Sinne von mit sich selbst „allein“ aber auch „eins zu sein“
Zwar wird im deutschen Duden das Wort Einsamkeit mit dem Synonym Alleinsein gleichgesetzt, allerdings auch mit anderen Begriffen wie z.B. Kontaktarmut (man bemerke auch hier wieder, das negativ konnotierte „Armut“ im Zusammenhang mit Einsamkeit).
Beim Begriff Alleinsein spuckt der Duden allerdings schon wieder zwei eher unterschiedliche Bedeutungen aus. Einerseits das Fürsichsein (was auch zu zweit/allein, ohne störende Dritte) bedeuten kann. Andererseits zeigt sich hier wieder die Bedeutung im Zusammenhang mit Einsamkeit und Isolation.
Also doch nicht nur negativ behaftet! Alleinsein bedeutet somit nicht zwangsläufig einsam zu sein, während einsam zu sein eben auch nicht allein zu sein bedeuten muss. Es gibt also Verschränkungen der Begriffe, aber nicht unbedingt eine Gleichsetzung.
Wo ist nun die zentrale Botschaft?
Vielleicht besteht die Verknüpfung und zugleich Abgrenzung der Begriffe hauptsächlich auf der emotionalen Ebene. Einsamkeit ist offenbar viel stärker mit der negativen Seite des Alleinseins konnotiert als ein pures Alleinsein. Einsamkeit scheint nicht unmittelbar mit der uns umgebenden Anzahl der vorhandenen Personen zu tun zu haben. Die Einsamkeit unter vielen – oder noch schlimmer die Einsamkeit zu zweit – geben dafür gute Beispiele ab.
Es macht einen riesigen Unterschied, ob ich mich mit einem Partner oder allein einsam fühle
Beginne ich mich mit einem Partner an meiner Seite einsam zu fühlen, so kann ich davon ausgehen, dass in der Beziehung etwas nicht stimmt. Es kann aber auch bedeuten, dass ich eine Beziehung eingegangen bin – nur um nicht allein zu sein, und mich einsam zu fühlen… dann passt der Titel dieses Blogartikels:
Am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit
Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz! Einsamkeit in einer Zweierbeziehung ist offenbar noch viel klarer spürbar, als wenn man tatsächlich allein ist. Die Sehnsucht nach Ansprache, Angenommensein, Verstandenwerden – was meist mit den unausgesprochenen Bedürfnissen in einer Beziehung einher geht – wird oftmals in dieser nicht erfüllt.
Wir fühlen uns einsam zu zweit! Der/die andere lebt nicht mit, sondern neben uns. Wir fühlen uns neben dem/der Anderen, dem/der „Nächsten“ einsam und alleingelassen! Einsamsein als subjektive Bewertung eines Alleinseins…
Wir können daher festhalten: Allein zu sein muss nicht bedeuten, sich einsam zu fühlen
Gute Sozialkontakte sind für die meisten Menschen ein wichtiges Lebenselixier (das sagt uns unter anderem auch die Altersforschung). Gute und bereichernde Beziehungen natürlich auch. Schlecht funktionierende und belastende wirken natürlich gegenteilig. Wobei hier das „gut oder schlecht“ natürlich sehr subjektiv ausfällt und nicht von historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Faktoren getrennt werden kann. Schließlich beeinflussen diese unsere Erwartungen an eine Beziehung.
Bleibt die Frage: Müssen wir uns, wenn wir allein (ohne Partner/in) leben einsam fühlen? Sicher nicht!
Aber auch in gut laufenden Partnerschaften kann ein wenig „Urlaub“ voneinander auch erfrischend wirken, wenn auch vielleicht für manche bedrohlich. Alles eine Sache der Perspektive!!! Aber es mal auszuprobieren, mag sich lohnen.
Vielleicht sollten wir alle einmal üben, Zeit mit uns selbst zu verbringen. Eventuell könnten wir da tatsächlich uns selbst begegnen und vielleicht dabei auch noch nicht wahrgenommene Seiten unserer Selbst zum Vorschein kommen lassen.
Ihre Psych. Mag. Eva Nikolov-Bruckner
Weitere Blogbeiträge von Eva Nikolov-Bruckner sind u.v.a.:
Ein schwieriges Thema: Freiheit und Narzissmus
Scham und Schuld in Beziehungen
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Zusammen mit Regina Schrott (Gründerin von Narz mich nicht®) hat sie folgendes Buch im EMPATHIE Verlag geschrieben: Narzissmus ist anstrengend
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