fbpx

Leben und Lieben in lieblosen Zeiten. Es kommt mir vor, als stünde die ganze Zeit ein dicker rosa Elefant im Raum, und keiner sieht ihn. Wenn ich anfange, davon zu sprechen – fast egal zu wem – dann treffe ich auf Befremden. Oder auf Unverständis. Als wäre dieser überdimensionale Elefant meiner blühenden Phantasie entsprungen. Aber ich sehe ihn. Tag für Tag. Jahr für Jahr. In allen Lebensfeldern.

Wo ich hinschaue, entdecke ich ihn. Er nimmt so viel Raum ein, dass für die Menschen dort kaum Platz ist. Jeder drückt sich an ihm vorbei, scheuert sich vor lauter Enge die Haut auf, kriegt keine Luft, manchmal gehen Knochen zu Bruch oder gar nicht so selten kommt sogar jemand unter einem Fuß des Elefanten zu Tode. Aber niemanden scheint das zu stören. Ganz selten mal, dass Unmut oder eine Beschwerde laut wird. Dann ist es schon wirklich dick gekommen. Aber selbst dann… schon kurze Zeit später ist es, als wäre gar nichts gewesen.

Lange habe ich vermutet, dass niemand den Elefanten sehen WILL

Weil ich ihn ja so deutlich sehe und gar nicht übersehen kann. Inzwischen weiß ich, er ist wohl wirklich für das bloße (unvorbereitete) Auge unsichtbar. Weil er die Farbe unserer Atemluft hat. Er ist das, was wir NORMAL nennen. So ist es halt. So war es schon immer. Lange schien mir, es stößt nicht einmal bei denen auf offene Ohren, die sich mit dem Elefanten beschäftigen. Bis ich in meinen vielen langen Jahren des Schauens und Lauschens etwas ungemein Wichtiges verstanden habe.

Ich will echt keine spirituelle Spielverderberin sein, aber wir tun uns einfach selbst keinen Gefallen damit, vor der Wahrheit die Augen zu verschließen, nur weil sie so normal ist. Im Gegenteil, das ist genau das Problem, über das ich sprechen will:

Die Normalität und Wirkwucht von Verleugnung

Die Normalität des an-irgendeiner-Stelle-einfach-nicht-mehr-Hinsehens. Eine narzisstische Welt, die nur das sieht, was sie sehen will. Und alles andere ignoriert. NICHTet.

Ein Stück weit ist es ja gesund, und auch nicht so viel anders, als wenn spirituell Suchende sagen: „Ich schau keine Nachrichten mehr – das tut mir nicht gut“, und sich mit aller Macht in ihre Licht-und-Liebe-Welt hineinaffirmieren.

Auf den ersten Blick sieht es netter aus als ignorieren, aber nur, solange wir nicht genau hinsehen. Wenn sie dann jemandem, der von seinem Leiden spricht, zur Antwort geben, das hätte er eben einfach noch nicht transformiert, überlassen sie ihn genauso Einsamkeit, Scham, Schuldgefühl und vor allem sich selbst, wie es einst ihre Eltern mit ihnen gemacht haben. Nichts dazugelernt, nur diesmal mit dem Gefühl, auf der richtigen Seite zu sein. Genau darum geht es.

WENN WIR ERFAHRUNG UND IHRE BEDEUTUNG VERLEUGNEN, KÖNNEN WIR IMMER NUR AUF DIE ANDERE SEITE JENSEITS DAVON WECHSELN. DANN SIND WIR NICHT MEHR DAMIT VERBUNDEN UND KÖNNEN NICHT DARAUS LERNEN.

Zu verleugnen ist zutiefst menschlich. Wenn wir zwei oder mehrere völlig unvereinbare Realitäten nicht in unter einen Hut kriegen. Sie nicht in unseren einen Kopf passen. Es ist eine gute Notlösung mit fatalen Konsequenzen. Was wir nicht sehen, das betrifft uns auch nicht. Wozu wir nichts fühlen, macht uns nichts aus. Was uns was ausmacht, davon schauen wir weg. Ein Teufelskreis ohne Ausweg.

Hingesehen, gern gesehen oder nicht – die Wahrheit:

Wir lieben und leben in lieblosen Zeiten

Schön finden wir es nicht, aber wir finden es normal. Weil alle um uns herum sagen: „So ist es halt“. Genau wie bei den vielfältigen Ablenkungs- und Suchtmitteln, die unsere Welt uns so gern zum Kauf anbietet.

Jeder will ein Guter sein. Allein schon, weil er soll. Uns quer zu stellen, ist nicht vorgesehen. Schon gar nicht erwünscht. Notfalls auf Kosten von anderen – dann nennt man sich Querdenker. Wahlweise mit grenzenlosem Mitgefühl oder mit Gewalt. Nur nicht selbst der sein, der versagt. Zwei Seiten einer Medaille. Wenn keiner der Böse sein will, geht es um Schuld und Scham – die natürlich keiner haben will.

Die engagierte Lehrerin, die Kinder wirklich liebt und sieht – und es ohne wegzusehen nicht erträgt, wie immer mehr zusammenbrechen unter der Last von G8. Aber im Lehrplan ist kein Platz für Mitgefühl oder Individualität.

Das verheiratete Paar, das sich nie gefragt oder gesagt hat, was jeder von ihnen im Liebesspiel der Körper wirklich mag – weil sie es selbst nicht wissen und sich so sehr bemüht haben, einander die nicht ausgesprochenen Wünsche von den Augen abzulesen.

Der Mittvierziger, der sich für seine Karriere den Arsch aufgerissen und die Familie vernachlässigt hat – und jetzt nicht mehr kann. Die letzten anderthalb Jahre hat er es nur noch mit zwei-drei Bier am Abend geschafft, zur Ruhe zu kommen. Sein Arzt speist ihn bereitwillig mit Medikamenten ab. Solange es geht, schiebt er eine körperliche Diagnose vor. Höchstwahrscheinlich wird er früher oder später gekündigt und ersetzt.

LIEBLOSIGKEIT ist die Kernwunde unserer Kultur

Das, woran wir alle leiden, ohne es zu merken, weil es seit Urzeiten das ist, was uns als Normal verkauft wird. Schlicht und einfach darum, weil wir vor lauter Nichthinsehen all die Möglichkeiten ÜBERsehen, die es schon längst gibt. Wir ignorieren sie, weil wir dann so elegant an all diesen bedrängenden Gefühlen vorbeikommen, die sonst in der Tiefe anfangen zu vibrieren.

Moment! Was, wenn genau das AUCH Teil des Problems ist: Dass etliche Gefühle in unserer Kultur als NEGATIV betrachtet werden und wir systematisch darin trainiert – aka dazu erzogen – werden, sie nicht zu haben oder wenigstens nicht sichtbar zu machen. Und nahezu ALLE Gefühle ab einer bestimmten Intensität. Weil das nicht souverän ist. Außer vielleicht Dankbarkeit, Nächstenliebe und Pflichtgefühl. Bei genauerem Hinsehen ist Nächstenliebe in unserer Kultur schnell als Selbstaufgabe, Pflichtgefühl als perfide Umdeutung von Scham und Schuldgefühl entlarvt.

Leben und lieben in lieblosen Zeiten – Das ist ein richtig gemeiner Teufelskreis

Wenn wir Gefühle und Intensität ächten, verhindern wir dadurch, dass wir mit Unterstützung und guten Vorbildern einen konstruktiven Umgang damit lernen… und erzeugen genau das, was wir zuvor beschworen haben: Dass diese Gefühle zerstörerisch und gefährlich sind. Selbst gemachte Realität – zu Kultur geworden.

Hier nähern wir uns mit großen Schritten der kulturellen Urwunde: Den zahllosen Folgen sichtbarer und unsichtbarer, benannter und nie benannter, individueller und struktureller Gewalt.

LEBENSFEINDLICHE ÜBERZEUGUNGEN, GEBOREN AUS VERLEUGNETER GEWALT, DIE GENERATIONEN ERLITTEN HABEN

Der sie völlig allein und ohnmächtig gegenüber standen. Von niemandem gesehen, von niemandem bezeugt. Und weil das nicht im Kopf auszuhalten war, verleugnet.

Sie diente den Interessen weniger mächtiger Menschen. Dass es niemand sah, bezeugte und erst recht nicht benannte, war zutiefst gewollt. Und ist es noch. Denn nichts erhält die Macht so hocheffizient aufrecht wie Verstummen, Wortlosigkeit und ohnmächtige Verleugnung. So gerinnt die Gewalt unsichtbar zu Struktur – in die wir uns einfügen, weil sie uns existenzielle menschliche Bedürfnisse erfüllt: Sicherheit. Schutz. Zugehörigkeit.

Wir wohnen in Schubladen und denken, es sei die Welt. Wir meinen die Welt zu sehen und sehen nur einen kleinen Teil davon. Den, den wir sehen dürfen. Oder das Gegenteil. Aber nicht beides.

Ich finde, wir sollten uns das GANZE Leben nehmen, statt uns das Leben ganz zu nehmen

Oder uns mit Überleben zufrieden zu geben. Die Fassade bröckelt seit Jahren und legt die Ahnung von einem maroden Fundament frei.

Klimakatastrophe. Flüchtlingsströme. Corona. Machtgeile Autokraten und die AfD.

Die Folgen unserer Verleugnung holen uns ein. Strömen in unser Land. Spalten unser Land. Spalten Freundschaften und Familien. Gefährden unseren Frieden. Unseren Planeten. Unsere Lebensgrundlage. Ob wir uns dieses Zusammenhangs bewusst sind oder nicht.

Was wie hunderttausend verschiedene Baustellen scheint, ist eigentlich nur eine einzige: Verkörperte Lieblosigkeit.

Betäubte Gleichgültigkeit, seit Generationen weitervererbt

Sie kennen sicher diesen Spruch: Stell‘ dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin. Jede Struktur hat nur so lange Macht, wie wir sie mittragen. Die spannende Frage ist nur: Wie kann es anders gehen?

Nach Jahrtausenden von Patriarchat und Christentum – und für mich gibt es keine Gewinner im Patriarchat, dafür aber sehr viele Verlierer -, nach Jahrhunderten von Kapitalismus und Jahrzehnten der Emanzipation braucht etwas ganz und gar Neues.

Es muss ohne Kämpfen gehen. Ohne Richtig und Falsch. Besser und schlechter. Lehrer und Schüler. Gesund und krank. Entweder-Oder.

Was wir brauchen, ist Integration

All dessen, was nicht benannt werden SOLL. In allen Lebensbereichen. Bis ins Detail. Auf tiefster Ebene. Denn die Einzelteile von Wissen, wie es gehen kann, gibt es ja schon lange. Nur nützt das nichts, solange wir es im Handeln ignorieren.

Wie können wir die kulturelle Kernwunde zu fassen kriegen? Wie können wir Auswege finden, die uns nicht überfordern? Und vor allem: Wie können wir die chronische strukturelle Gleichgültigkeit überwinden und uns vom Leben wieder auf sanfte Weise berühren, bewegen und nähren lassen?

Was uns in der Tiefe berührt, ohne dass es uns überwältigt, das nährt uns und lässt uns wachsen

Sogar im Nebel oder in der Dunkelheit. Bleibt nur die Frage mit der Überwältigung. Sooooo große Strukturen, sooooooo viel Ohnmacht – was ist die machbare Aufgabe für mich?

Meine Idee: Lasst uns anfangen, genauer hinzuschauen. Lasst uns anfangen, dem wieder Bedeutung zu geben, was wir für normal halten. Und lasst uns beginnen, einander mehr Geschichten zu erzählen. Vor allem die, die wir nie erzählt haben.  Weil wir dachten, so ist es halt. Nicht erwähnenswert. Vielleicht ist genau dort der Schlüssel. Geschichten, in denen die Details nicht ausgelassen worden sind – so dass wir sie FÜHLEN können.

DENN DANN LÄSST SICH DAS GROSSE GANZE ERKENNEN – DAS PRINZIP, AUS DEM JEDES DETAIL GEBOREN IST UND IMMER WIEDER NEU GEBOREN WIRD

Liebevoll sein – mich interessieren und Platz haben FÜR ALLES (nicht nur das, was meinen Interessen entspricht), fängt bei mir an. Bei Ihnen. Bei uns allen.

Ich fang jedenfalls schon mal an. Ich habe nämlich mein Leben lang, seit ich junge Erwachsene bin, gesehen, was keiner zu sehen scheint. Und noch besser: Ich wusste, dass es anders gedacht ist. Über drei Jahrzehnte bin ich tief in viele Lebensbereiche eingetaucht. Ich habe Verbindungen gezogen, Entscheidungen getroffen und Dinge getan, die viele andere nicht gewagt haben.

Wann immer ich davon erzählt habe, hörte auch ich Geschichten

Unerzählte Geschichten. Unerzählbare Geschichten. Unerhörte Geschichten. Zumindest bis dahin. Weil sie verschwiegen worden waren vor lauter Scham. Ich sammle sie in einem Buch. Menschlich. Nahbar. Traurig. Froh. Und in der Summe ein Hoffnungsschimmer für unsere Welt.

Ich schreibe es auch, um all den verstummten Menschen mit ihren unerhörten Erfahrungen ein Denkmal zu setzen und sie zu würdigen. Individuelle, vererbte, kollektive oder strukturelle Gewalt hat ihnen die Stimme verschlagen. Wir können so viel von ihnen lernen dort, wo wir jetzt nicht weiterwissen.

Und es gibt schon andere Geschichten – davon, wie es stattdessen sein kann. Damit auch das gute Neue vorstellbar wird, Fleisch auf die Knochen kriegt und wachsen kann.

Mein Buch IN LIEBLOSEN ZEITEN ist am Entstehen. Es widmet sich bislang den Lebensfeldern Geburtskultur, Familienmythen, Schulsystem, Sprache, Gesundheitssystem, Psychotherapie, Arbeit, Corona, Familienmythen, unsichtbare Substrukturen und und und. Hautnah.

Wenn Sie eine dieser zahllosen unerhörten Geschichten in sich tragen – also nicht die, die Sie mit Ihren FreundInnen besprechen – und mutig sind, dann schreiben Sie mir gerne. Vielleicht kann auch Ihre Geschichte ein wichtiger Beitrag sein.

Christina Sogl, Psychoanalytikerin und Körpertraumatherapeutin,
Forscherin für eine neue Kultur berührend lebendiger Begegnung
und Kooperationspartnerin von Narz mih nicht

grüner Narz mich nicht Strich

Weitere Informationen über Christina Sogl finden Sie hier.
Sie können auch ein kostenloses Erstgespräch mit ihr über unseren Buchungskalender buchen.


0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Avatar-Platzhalter

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert