Welche Rolle spiele ich da gerade? Wie bewusst sind wir uns all der Rollen, die wir auch unbewusst (weiter)spielen!?

Ja natürlich! Beim Begriff Rolle denken viele sehr rasch an Film, TV und Theater, und bekannte/beliebte SchauspielerInnen und sehen diese Akteure und Aktricen dann meist hauptsächlich in dieser Rolle. Dabei macht man sich meist auch keine Gedanken darüber, dass DarstellerInnen eben beruflich Rollen spielen, die vielfach möglicherweise genau dem entgegengesetzt sind, was sie im Leben darstellen.

Selbst aus dieser Branche kommend (die ersten 10 Berufsjahre meines Lebens hatte ich am Theater und im Film/TV unterschiedlichste Rollen gespielt) war mir lange noch nicht klar, dass wir alle auch im täglichen Leben unterschiedlichste Rollen spielen. Eines scheint aber allgemeine Gültigkeit zu haben: Nur wenn man/frau erst einen gewissen „Promistatus“ erreicht hat, kann man sich die Rollen selbst aussuchen.

Aber auch in den „kleinen Rollen“ schlummern viele spannende Nuancen und Momente

Im Nachhinein betrachtet, wird mir immer klarer, dass das Interessanteste an diesem Beruf (der leider auch seine schlimmen Schattenseiten hat) ist, dass er implizit auch eine große Chance zur Persönlichkeitsentwicklung bietet: Die Chance, in neuen Rollen auch wieder bestimmte Seiten und Persönlichkeitsnuancen von uns selbst kennenzulernen, ist groß (so einem nicht lästige RegisseurInnen einen Strich durch die Rechnung machen).

Das Schöne an den vorübergehenden Theater- oder Film-Rollen ist: Man verlässt die Bühne (oder das Filmset) immer wieder, und kann die Rolle in der Garderobe zurücklassen! Man kommt zur nächsten Vorstellung und streift sich mit Kostüm und Maske wieder ein Stück der Rolle äußerlich über. Sänger singen sich stimmlich ein – und die Musik gibt ihnen teilweise schon vieles von Charakter und Stimmung bzw. Situation vor. Dann bringen sie körperliche und stimmliche Höchstleistungen und dazu auch noch recht beachtliche Leistungen in der Rollengestaltung.

Was gehört nun also zu einer Rolle, wie ist sie gekennzeichnet, und welche Arten von Rollen gibt es?

Jetzt mal abgesehen von den Rollen in der darstellenden Kunst: Wir spielen alle auch im täglichen Leben ganz viele Rollen, ohne uns dessen wirklich bewusst zu sein. Am häufigsten finden wir uns in von Kindheit an geprägten Familien-Rollen. Diese Rollen bekommen wir meist schon ab der frühen Kindheit von unseren Bezugspersonen übergestülpt! Nur selten werden wir uns dessen vollständig bewusst und daher spielen wir den größten Teil unseres Erwachsenen-Lebens diese Rollen weiter.

Die Psychoanalyse hat dies zum ersten Mal sehr klar in den Fokus ihrer Lehre und ihrer Therapie-Ansätze gestellt. Auch wenn Freuds diesbezügliche Erklärungsansätze inzwischen in vieler Hinsicht revidiert wurden (nicht immer trägt grundsätzlich nur die „böse Mutter“ an allem Übel Schuld), hat er hier Pionierarbeit geleistet.

Wir wissen inzwischen, dass bestimmte prägende Phasen, die nicht nur immer auf das Kleinkindalter beschränkt sind, auf unser späteres Leben einen wichtigen Einfluss haben. Viele Therapieformen bauen auch auf dieser Idee als Basis ihrer Behandlungsformen auf.

Dies soll aber nicht dazu verleiten, für alle Probleme im Leben allein nur die Eltern verantwortlich zu machen

Solche Pauschal-Schuldzuweisungen halte ich für eine recht bequeme Haltung. Sie sollten uns nicht der Verpflichtung entbinden, uns mit dieser Zeit und ihren Prägungen, und möglichen Traumatisierungen auseinanderzusetzen.

Diese Analysen sollten zumindest in Grundzügen eine Aufarbeitung der Rollen beinhalten, die wir so im täglichen Leben, größtenteils unbewusst spielen. Erst wenn wir diese Rollen kennen, können wir uns klar machen, womit diese Rollen verbunden sind. Das hilft uns, sie in vielerlei Hinsicht in den Griff zu bekommen. Erst dann können wir versuchen „nicht mehr mitzuspielen“, nicht mehr außengeleitet zu agieren, sondern uns selbstbestimmt auszusuchen, welche Rollen wir wirklich verkörpern wollen.

Apropos „verkörpern“: Unsere sozialen Rollen haben alle eine bestimmte körperliche Komponente

Auch das ist ein wichtiger Aspekt, den wir uns bewusst machen sollten. Viele Studierende des Fachs Schauspiel können ein Lied davon singen, wie sehr bestimmte Rollen bestimmte „Haltungen“ und Bewegungsmuster beinhalten. Diese Haltungs- und Bewegungsmuster können sich auch bei unseren sozialen Rollen, wenn wir sie lange genug „spielen“ auf unsere Körperhaltung und -bewegungen bleibend auswirken. Jemand der immer die Rolle des sozialen „underdogs“ spielt wird automatisch eine entsprechende Körperhaltung nach außen tragen. Dies  kann es dominanten Persönlichkeiten leicht machen, diese Person zu dominieren oder zu unterdrücken.

Wenn Rollen einmal in bestimmten immer wiederkehrenden Mustern „eingeschliffen“ sind, wird es immer schwerer, sich aus ihnen zu befreien. Das gilt innerhalb von persönlichen Beziehungen, Paarbeziehungen, familiären Rollenmustern – aber ganz besonders auch im beruflichen Umfeld.

Natürlich spielen hier auch gesellschaftliche Erwartungen mit hinein, die mit bestimmten Rollenmustern verknüpft sind: Man denke hier nur an gängige Geschlechterrollen! Dieses Feld ist zwar in Bewegung geraten, das heißt aber nicht, dass gewisse Fortschritte sich nicht auch wieder auflösen könnten.

Sehr oft schlägt das Pendel wieder zurück

Zum Beispiel zeigt sich, dass sich im Rahmen von gesellschaftspolitischen Entwicklungen, die Frauen mehr Rechte und Möglichkeiten einräumen sollten, plötzlich wieder heftige Gegenströmungen auftun.

Manche einst rebellierende Mutter (heute schon eher Großmutter), die sich in der Frauenbewegung der 1970er Jahre engagiert hatte, mag verwundert darüber sein, wieviel Zeit die Tochter oder Enkelin mit Schmink- und Schönheits-Trends auf Social Media aufwendet. Zugegeben – die Bandbreite der Rollenidentifikationen und Rollenerwartungen hat sich wesentlich verbreitert, wie auch die non-binären Geschlechterzuschreibungen zeigen.

Wir haben die Möglichkeit, die jeweiligen gesellschaftlichen Rollen viel weiter zu definieren und auch zu leben als bisher

Das zeigt sich vor allem bei jungen Menschen. Einerseits belegen verschiedene Studien, dass vielfach ein „Neobiedermeier“ in der Generation der jungen Erwachsenen um sich greift, in der alte Rollenmuster wieder hochgehalten werden: Häuschen im Grünen – Mann als Familienernährer – und Mutter, die aufgrund von fehlenden KiGa (KiTa)-Plätzen und unterstützender Herdprämie lieber „zu Hause bleibt“. Anderseits können junge Menschen mit fließenden Übergängen von Geschlechter-Rollenmustern spielen und aus alten Korsetten ausbrechen.

Allerdings lässt sich bei all diesen Entwicklungen nicht verhehlen, dass viele von uns oft ihre früh erlernten Rollenmuster nicht ablegen können – oder eventuell in frühere Muster wieder zurückfallen. Manche Rollenzuschreibungen halten sich hartnäckig; z.B.: dass Frauen im höheren Management offenbar nichts zu suchen hätten, bzw. dafür nicht „geeignet wären“, womit das anhaltende Fehlen von Frauen innerhalb der bestbezahlten Aufsichtsrat-Posten oft erklärt wird.

Die sogenannte „gläserne Decke“ – ein Begriff aus den 1970er Jahren – der zeigen soll, dass Frauen selbst bei bester Qualifikation ab einer bestimmten Karrierestufe hängen bleiben, spricht hier eine deutliche Sprache.

Was bleibt?

Ein Bewusstmachen und Hinterfragen von alten Rollenmustern auf allen Seiten wäre wünschenswert; ist aber zugegeben ein langwieriger und mühsamer Prozess!

Dennoch, eine andere Wahl als unsere Rollenmuster auf den Prüfstand zu stellen und zu versuchen, diese bei uns selbst (und auch anderen) aufzubrechen, haben wir nicht!

Auch ich kann nicht umhin, als mir immer wieder einzugestehen, dass ich oft viel zu lange bei bestimmten Rollenerwartungen mitgespielt hatte – sowohl privat wie beruflich! Es ist ja auch teilweise recht bequem, möglichst wenig von Mustern und Rollenerwartungen abzuweichen.

Viel zu schnell ist man in eine Rolle – meist unbewusst – eingestiegen und kommt dann sehr schwierig wieder heraus

Das gilt in privaten wie in beruflichen Beziehungen!

Hier ein ganz simples Beispiel aus dem Büroalltag, vor allem wenn hier Aufgaben nicht klar geregelt sind: Das Druckerpapier im Kopierer ist ausgegangen und es gibt keine klar dafür zuständige Person. Sie haben es eilig und müssen rasch etwas ausdrucken/kopieren – wie immer. Sie holen also Papier und füllen nach. Man (ihre Umgebung) nimmt das mehr oder weniger klar und bewusst wahr… und schon haben Sie die Rolle der „Druckerpapier-Besorgerin“. D.h.: Sie kümmern sich ab nun um Dinge, die zwar nicht direkt in Ihren Aufgabenbereich fallen, aber „irgendwer muss es ja machen…“. So werden Sie ganz rasch zur „Kümmerin“ oder so, der man dann eventuell freundlich auf die Schulter klopft, vielleicht noch mit einem großzügigen „danke dir!“

Ähnliches – Sie sollen eine Aufgabe erledigen, bekommen dafür aber die notwendigen Voraussetzungen nicht zur Verfügung gestellt (ein Beispiel aus meiner Rolle als „Erledigerin“). Ich bekomme ein aufmunterndes „du wirst das schon machen!“ (will heißen: „du hast das ja schon immer hingekriegt“ – auch ohne die notwendigen Voraussetzungen!!) – und wieder habe ich brav meine Rolle gespielt…

Tja, so viel zum Thema „Aussteigen aus einer Rolle“ und der alles entscheidenden Frage: Welche Rolle spiele ich da gerade?

Aber ich kann auch das Nein-Sagen lernen und dabei ganz bewusst, das ständige Ja-Sagen verlernen; das ist der Beginn eines Rollenwechsels, denn…

Was wir gelernt haben, lässt sich immer auch umlernen!!!

Am besten wir beginnen gleich heute damit! Womit fangen Sie jetzt an? Schon eine Idee? Wenn nicht, dann fragen Sie sich: Welche Rolle spiele ich da gerade? und wenn Ihnen die Rolle nicht (mehr) zusagt, leiten Sie die Veränderung direkt ein – peu á peu.

Herzlichst Ihre Eva Nikolov-Bruckner
Psychologin und Kooperationspartnerin aus Wien

grüner Narz mich nicht Strich

Eva Nikolov-Bruckner macht u.a. auch die Gutachtenvorbereitungen, wenn Ihnen von Gerichtswegen ein Familien psychologisches Gutachten ans Herz gelegt wird (Gutachten sind IMMER freiwillig!)

Mit Regina Schrott – Gründerin von Narz mich nicht® – hat Eva Nikolov-Bruckner das Buch „Narzissmus ist anstrengend“ geschrieben, das im EMPATHIE Verlag erschienen ist. Sie können das Gemeinschaftswerk auch über Amazon bestellen oder direkt über unseren Verlag.


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